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Das Programm präsentiert fünf Filme aus Nigeria, die gewichtige Themen behandeln: Liebe und Krieg. Die fesselnden Erzählungen verwischen die Grenzen zwischen den beiden Extremen und stellen existenzielle Fragen, auf die es keine leichte Antwort gibt. Die Werke beleuchten zudem die Resilienz der nigerianischen Bevölkerung angesichts mehrfacher Widersprüche und die universelle Kraft der Liebe unter schwierigen Umständen.
Mitten in der nigerianischen Trockenzeit planen zwei Rekruten, dem harten Training in ihrem Ausbildungslager zu entfliehen. Doch das Schicksal schlägt zu, als die Wasserquelle des Camps versiegt und sie gestrandet sind. Der einzige Jeep ist weg auf der Suche nach Hilfe, und es beginnt eine unheimliche Isolation, die sie zwingt, Wasser zu rationieren und sich den eigenen Dämonen zu stellen. Das Überleben ist ein Kampf von Körper und Geist.
Als der Anführer einer sezessionistischen Gruppe im Südosten Nigerias inhaftiert wird, ordnen seine Anhänger aus Protest ein montägliches Ausgehverbot an. Die Geschwister Kamnonu und Ogbonna geraten in Gefahr, als sie sich dem Montagsverbot widersetzen.
Do You See Me Walé Oyéjidé / Nigeria 2023 / 6'30" / DCP / Farbe / Englisch / Fic
Während er mit dem Verlust eines geliebten Menschen ringt, findet ein Junge Trost in Wachträumen.
You Matter to Me Immaculata Abba / Nigeria 2022 / 10'45" / DCP / Farbe / Englisch / Doc/Exp
Eine Meditation über das Engagement meiner Eltern in ihrer Gemeinschaft durch alltägliche Rituale rund um Essen, Musik, Religion, Arbeit und Spass. Begleitet wird der Film von Interviews mit meinen Eltern und einem lyrischen Essay über Spannungen und Kummer, aus denen Nigerianer:innen dennoch Freude schöpfen. Klanglich ist das Werk zu Hause angesiedelt: Wir hören zwangloses Geplänkel mit meinen Eltern und Klaviersoundtracks, die an Nollywood-Dramen aus den 2000er Jahren erinnern.
In der surrealen Welt von «Memory XX» entfaltet sich eine fesselnde Liebesgeschichte. Eine einst lebendige und vielversprechende Beziehung ist nun in die Tiefen der Erinnerung verbannt. Während der Film diese Tiefen ergründet, begibt sich der zurückgebliebene Partner auf eine Reise der Selbsterkenntnis.
A Study on Love Olayinka Eno Babalola / Nigeria 2023 / 3'48" / DCP / Farbe & Schwarz-Weiss / Englisch / Exp/Doc
«A Study on Love» ist ein experimentelles Dokumentarfilmkunstwerk, das das Thema Liebe auf eine elementare Art und Weise ergründet.
Während das Geburtsjahr des nigerianischen Kinos umstritten ist, gibt es keine grosse Debatte über das Jahr, in dem es den ersten grossen kommerziellen Erfolg erzielte. Das Jahr war 1992 und der Film hiess «Living in Bondage». Die Themen des Films – Liebe, Geiz, böswillige Spiritualität, christliche Erlösung – waren Teil des nigerianischen Vokabulars und dominierten in der Folge die Produktionen des Jahrzehnts. Und sie bleiben bis heute präsent: Noch immer berichten die Medien über junge Menschen, die sich im Streben nach Reichtum im Diabolischen versuchen; spirituelle Dinge flössen nach wie vor Furcht und Ehrfurcht ein.
Doch wenn Furcht und Ehrfurcht lange diktierten, wie das nigerianische Kino Geschichten über Spiritualität erzählte, so zeichnet sich der heutige Ansatz eher durch Pietätlosigkeit aus – obwohl diese keinesfalls einseitig ist. Jüngere Filmschaffende mögen die mystischen Überzeugungen ihrer filmischen Vorgänger:innen und ihrer eigenen Eltern infrage stellen, aber sie sind nicht bereit, deren Allgegenwärtigkeit in der Kultur zu ignorieren. Was auch immer sie von Spiritualität halten mögen, sie sind sich einig, dass sie zu ihrem Erbe gehört.
Michael Omonuas «Rehearsal» wirft einen frechen Blick auf dieses Erbe. Der Film zeigt eine Gruppe junger Leute, die Reaktionen auf einen falschen Priester üben, der vortäuscht, von Geistern besessen zu sein. Es ist nicht die Art von Geschichte, die Mainstream-Filmschaffende in den 1990er Jahren erzählt hätten. Auch die Methoden sind anders. So etwa das naturalistische Schauspiel, das eine Abkehr vom typischen Nollywood-Melodrama darstellt. Oder die indirekte Kritik an einer Religion, die in einem armen Land glühende Anhängerschaft findet, während ihre Anführer gewaltige Bauten errichtet haben, die man als kapitalistische Kathedralen bezeichnen könnte.
«Rehearsal» ist einer der Kurzfilme von Surreal 16, einem Trio, das mit seinen unkonventionellen Werken zum Gesicht des nigerianischen Non-Mainstream-Kinos geworden ist. In ihrem Dreiteiler «Juju Stories» widmet sich die Gruppe den Aberglauben aus ihrer Kindheit in den 1990er Jahren. In allen drei Geschichten müssen junge Leute die ungeahnten Folgen einer allzu grossen Nähe zum Mystischen ausbaden.
Weitere Filmschaffende mit Projekten jenseits des Mainstreams sind Femi Johnson und Ayo Lawson, das Duo hinter «Nightmare on Broadstreet». Der Film erzählt von einer Gruppe von Freunden, die in einem beliebten Freiluftlokal auf Lagos Island traumatisiert werden – bis zum Tod.
Während dieser Film seinen westlichen Einfluss schon im Titel trägt, sind andere diesbezüglich subtiler. Sonia Irabor und Lakin Ogunbanwo, die beide im Westen studiert haben, drehen Filme im Grenzbereich zwischen Kino und Kunstprojekten. Walé Oyéjidé wiederum nennt sowohl die nigerianische als auch die US-amerikanische Kultur als prägende Einflüsse.
Für diese Filmschaffenden, von denen einige auch Langfilme gedreht haben, bieten Kurzfilme die Möglichkeit, ausgefallene Ideen auszuprobieren – jenseits einer Mainstream-Struktur, wo sie möglicherweise nicht willkommen sind. Dies zeugt von einem anderen Ehrgeiz, als ihn die frühere Generation in den 1990ern an Tag legte. Zudem ist es ein Zeichen von Mut, denn es braucht ein gewisses Mass an Kühnheit – und vielleicht auch Ignoranz – um ausserhalb der etablierten Nollywood-Industrie zu arbeiten.
Dieser Mut hat auch seine Vorteile. «Egúngún (Masquerade)» von Olive Nwosu zum Beispiel erzählt eine quasi-queere Geschichte und dürfte deshalb in Nigeria keinen Verleih finden. Wer das im Voraus weiss, hat auch eine gewisse Freiheit beim Filmemachen. Wie für Nwosu, die nicht in Nigeria lebt, ist die Heimat für viele junge Filmtalente etwas, von dem es sich zu lösen gilt. Manche sehen Nollywood heutzutage als Genre und bestehen darauf, dass sie keine solchen Filme machen. Während sich das Kino der 1990er an ein lokales Publikum richtete, blicken die Cineasten von heute zumindest mit einem Auge Richtung Westen. Und während die Geschichten von früher oft in Dörfern spielten, beschäftigen sich viele junge Regietalente mit ihren Städten.
Ein letzter Unterschied betrifft die Nachwuchskräfte. Einst waren es informelle Lehren und Theater, die für den Nachwuchs im nigerianischen Kino sorgten; heute sind ausländische Filmschulen zu einer wichtigen Quelle geworden. Und wenn eine ausländische Ausbildung nicht möglich ist, schaut man sich halt westliche Filme an, um sich deren Lehren einzuverleiben.
Und doch hat die kommerzielle und kulturelle Dominanz des nigerianischen Kinos der 1990er Jahre seine ästhetischen Spuren hinterlassen. In Immaculata Abbas Dokumentarfilm «You Matter to Me» zeigt sich die Nollywood-Ästhetik in der Textur des Films und seinem Schauplatz in einem Dorf im Osten des Landes. Zudem geht es darin um die Familie, eines der Hauptthemen der Nollywood-Tradition.
Der Osten Nigerias ist auch Schauplatz von Dika Ofomas «A Quiet Monday». Es ist der einzige Kurzfilm in der Auswahl, der ein umstrittenes politisches Thema aufgreift, das immer noch Schlagzeilen macht, auch wenn der Ursprung des Problems in den 1960er Jahren liegt. Eine junge Schneiderin verspricht, an einem Montag zu liefern, wird aber auf dem Weg zu einem Kunden von zwei jungen Männern abgefangen – sie gehören einer bewaffneten Gruppe an, die sich für die Freilassung ihres inhaftierten Anführers einsetzt. Es kommt zu Gewalt.
Während die Hauptfiguren in «A Quiet Monday» fiktiv sind, ist die politische Atmosphäre des Films für die Bevölkerung Ostnigerias allzu real. Ofomas Geschichte zeigt, welche Tragödien möglich sind, wenn vermeintlich ferne politische Probleme in vertrauter Umgebung auftauchen.
Love & War
Das Programm präsentiert fünf Filme aus Nigeria, die gewichtige Themen behandeln: Liebe und Krieg. Die fesselnden Erzählungen verwischen die Grenzen zwischen den beiden Extremen und stellen existenzielle Fragen, auf die es keine leichte Antwort gibt. Zudem reflektieren sie das zeitgenössische Nigeria und regen zum Nachdenken an.
Krieg als bewaffneter Konflikt wird allgemein mit negativen Emotionen assoziiert, während die Liebe meist in einem positiven Licht gesehen wird. «A Study of Love» thematisiert das komplexe, zweiseitige Wesen der Liebe, die ebenso schön wie schrecklich sein kann. Der Kurzfilm zeigt die Angst, die mit Liebe einhergehen kann, und die Konflikte, die in Beziehungen entstehen können.
In «Harmattan» hat der Mangel an Ressourcen, insbesondere Wasser, schwerwiegende Konsequenzen. Der Kampf um Ressourcen in einem Militär-Ausbildungslager mitten im Nirgendwo dient als Mikrokosmos, der ein weit grösseres Problem widerspiegelt. Konflikte um wertvolle Rohstoffe wie Öl und Gold sind der nigerianischen Bevölkerung keineswegs fremd.
Wie kann Liebe in einem von Angst und Einschüchterung geprägten Umfeld gedeihen? «A Quiet Monday» führt in eine dystopische Welt und fragt, wie sich die Liebe mitten im Chaos nähren lässt. Der Film zeigt die harte Realität von Ausgangssperren im östlichen Teil des Landes, wo die Präsenz von militanten Gruppen und Freiheitskämpfern die Bevölkerung ganzer Bundesstaaten zwingt, eingesperrt zu leben.
Allen Filmen gemeinsam ist, dass sie Dualismen auf den Grund gehen. Die nigerianische Bevölkerung manövriert häufig durch verschiedene Polaritäten. Dazu gehören der Konflikt zwischen nationaler Loyalität und ethnischer Solidarität sowie die komplexe sprachliche Situation, die ein Jonglieren mit lokalen Dialekten und der Amtssprache Englisch erfordert. Quer durch die porträtierten Widrigkeiten hindurch bleibt die Liebe dabei resilient und universell.
Kuratiert von Michael Omonua und C.J. «Fiery» Obasi
Die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur sind das bedeutendste Kurzfilmfestival der Schweiz. Jeden November verwandeln wir die Stadt Winterthur für sechs Tage in eine Kurzfilmmetropole.
An den Kurzfilmtagen gibt es für alle etwas zu entdecken: Wir zeigen sorgfältig zusammengestellte Kurzfilmprogramme zu aktuellen Geschehnissen oder zu Themen, die unseren Kurator:innen unter den Nägeln brennen. Die Wettbewerbsblöcke fühlen den Puls des aktuellen, weltweiten Filmschaffens und die Installationen, Performances und weiteren Specials machen audiovisuelle Formen in ihrer ganzen Vielfalt erlebbar. Ein Rahmenprogramm mit Konzerten, Lesungen und mehr erweitert das Festivalerlebnis.
Der Kurzfilm ist nicht einfach ein kürzerer Film. Er ist eine eigene Kunstform, die wir mit unserem Festival jährlich in den Fokus stellen.
Der Kurzfilm erscheint in allen Genres und kann unterschiedlich lang – oder eben kurz – sein. Einfachere Produktionswege machen es ihm möglich, den Zeitgeist und Strömungen rasch einzufangen und abzubilden. Der kurze Film kann unterhalten, überraschen, die Gesellschaft analysieren, eine politische Haltung einnehmen oder Einblick in uns fremde Welten geben.
Wir bündeln unsere Kurzfilme in thematischen Programmen oder nach bestimmten Sektionen, wie z.B. unsere Wettbewerbe, und stimmen die Filme und Reihenfolge aufeinander ab. Für den Kurzfilmgenuss gibt es somit nur eine Voraussetzung: die Neugierde, Neues zu entdecken und sich überraschen zu lassen.