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Die Geschichte der Andenstaaten ist geprägt von Gewalt, Zensur und Diskriminierung. Animationsfilme werden in diesen Ländern häufig zur Kritik an Politik und Gesellschaft eingesetzt. Stories of the Uncanny zeigt Animationen, die ästhetisch durch ihre Düsterheit herausstechen, sich atmosphärisch gerne im Mystischen bewegen, sich dabei aber auch mit gesellschaftlichen und politischen Themen auseinandersetzen. Ein Programm, das visuell starke Eindrücke hinterlässt, uns in andere Weltformen eintauchen lässt und uns gleichzeitig alltägliche Themen näherbringt.
All My Scars Vanish in the Wind Angélica Restrepo/Carlos Velandia / Kolumbien 2022 / 14'18" / DCP / Farbe / Spanisch/Englisch / Ani/Doc
Eine Frau hört eine beunruhigende Stimme aus ihrem tiefsten Innern. Ein rätselhafter Hilfeschrei wird verständlich und führt sie zur ursprünglichen Wunde, zu ihrem inneren Kind, und sie wird zur eigenen Beschützerin.
Eine alte Frau erwacht in ihrem Zimmer. Der Raum wird zum Leben erweckt. Szenen aus der Vergangenheit – voller Schmerz und Unschuld – spielen sich ab. Ein experimenteller Kurzfilm über emotionale Szenarien in den letzten Momenten eines Lebens.
«Yugo» erzählt die Geschichte eines Arbeiterehepaars, das sich dem industriellen Kapitalismus in Lateinamerika anpassen muss und unter den sozialen und ökologischen Folgen leiden wird.
Drive Pedro Casavecchia / Frankreich/Argentinien 2019 / 6'56" / DCP / Farbe / ohne Dialog / Ani
Ein mysteriöser Film über ein Kind, das in einer zerrütteten Familie aufwächst. Der animierte Psychothriller zeigt den Absturz in den Wahn und zeichnet dabei das Porträt eines Mörders.
The Bones Cristóbal León/Joaquin Cociña / Chile 2021 / 14'21" / DCP / Schwarz-Weiss / ohne Dialog / Fic/Ani
Ein Animationsfilm, der scheinbar im frühen 20. Jahrhundert entstanden ist. Mithilfe von Leichen und der Beschwörung der Geister zweier Minister versucht ein Mädchen, in einem Ritual das Königreich Chile von seinem feudalen Erbe zu befreien.
Luis spricht über sein Leben im Wald und seine Beziehung zu Lucía. Er erscheint an der Wand eines Raums voller zerbrochener Gegenstände, die sich ständig bewegen. Langsam leert sich der Raum und die Objekte kehren an ihren richtigen Platz zurück.
Bestia Hugo Covarrubias / Chile 2021 / 15'54" / DCP / Farbe / ohne Dialog / Ani
Der auf wahren Ereignissen basierende Film erzählt vom Leben einer Geheimagentin während der Militärdiktatur in Chile. In ihrer Beziehung zu ihrem Hund, ihrem Körper und ihren Ängsten offenbaren sich die Risse in ihrer Psyche und im Land.
Die Anden erstrecken sich von Argentinien, wo sie als natürliche Grenze zu Chile fungieren, nordwärts durch Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien, wo sie sich dreifach verzweigen, wobei einer der drei Zweige bis nach Venezuela reicht. Die acht kuratierten Programme unseres Grossen Fokus sind das Resultat einer umfassenden audiovisuellen Recherche über dieses riesige Gebiet. Los Estados Andinos präsentiert ein Panorama der politischen, sozialen und kulturellen Szene dieser sieben Länder, wobei die Eigenheiten und Traditionen jeder Nation ebenso beleuchtet werden wie die Gemeinsamkeiten und kollektive Identität.
Die lateinamerikanische Filmindustrie, und spezifisch jene der Andenregion, wuchs mit der wirtschaftlichen Kapazität und dem Investitionswillen der jeweiligen Länder. Das Filmschaffen stand zudem stets in direktem Zusammenhang mit sozialen und politischen Turbulenzen, sowohl in der Region selbst als auch unter dem Einfluss externer Ereignisse. Auf die Ankunft des Kinos um 1896 folgt seine langsame Verbreitung, doch erst in den 1940er und 50er Jahren beginnt die einheimische Produktion zu blühen, nachdem die Staaten Gesetze zur Filmförderung erlassen haben. Insbesondere Argentinien sticht diesbezüglich hervor. Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter dem Einfluss der kubanischen Revolution entsteht eine neue Kinokultur, die rasch politisiert wird. Filmschaffende lassen sich in dieser Zeit von unterschiedlichsten – vor allem ausländischen – Quellen inspirieren, was eine Phase der Experimente einläutet.
Die 1960er und 70er Jahre waren entscheidend: Angefacht von Volksbewegungen, die kulturelle, politische und wirtschaftliche Autonomie forderten, entstand in einem postkolonialen Kontext die neue lateinamerikanische Filmbewegung, die einen Bruch mit der etablierten Filmpraxis brachte. Die Bewegung wollte die Realitäten Lateinamerikas mit allen ihren Kontrasten aufzeigen und stellte neue, bis anhin ignorierte Themen in den Mittelpunkt, wie etwa das kollektive Gedächtnis der Ausgegrenzten. Es war eine hochkritische Bewegung, die sich gegen das Establishment und den Mainstream wandte und ein Kino anstrebte, das soziopolitische Veränderungen auslösen konnte. Es führte zunächst vor allem in Argentinien und Chile zu einer fruchtbaren Produktion, bevor es sich in der Region weiterverbreitete, vor allem nach Kolumbien, Ecuador und Venezuela. Gleichzeitig bildeten sich mehrere nationale Strömungen heraus, die ein autochthones Autorenkino anstrebten.
In den späten 1970er Jahren kam es mit dem Aufstieg von Diktaturen und schwindenden Finanzmitteln zu einem Rückgang der Filmproduktion in der Region. Viele Filmschaffende gingen ins Exil und arbeiteten im Ausland weiter. Die 1980er waren eine Zeit der Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung und prekärer Distributionskanäle. Seit den 1990ern erleben verschiedene Filmindustrien wieder ein beachtliches Wachstum und kreative Wellen, insbesondere in Argentinien, das zu Recht als führende Kraft in der Region gilt, aber auch in Chile und Kolumbien. Das Filmschaffen von Bolivien, Peru und Ecuador wiederum wird zwar oft vernachlässigt, doch entstehen auch in diesen Ländern relevante Werke, die das Leben indigener Gruppen in der heutigen Zeit beleuchten.
Wir sind uns der enormen Vielfalt der Region und der Eigenheit der einzelnen Länder bewusst. Wir wollen diese keinesfalls homogenisieren oder ihre Erfahrungen miteinander gleichsetzen. Stattdessen möchten wir mit unserer Auswahl den Multikulturalismus dieser Nationen und gleichzeitig ihre gemeinsamen Erfahrungen im Laufe der Geschichte aufzeigen. Entsprechend sind die Programme nicht nach Nationen, sondern thematisch strukturiert.
Drei Programme widmen sich den soziopolitischen Verhältnissen in den Andenländern. Während zwei davon, Working the Land und Critical Contrasts, eine historische Perspektive einnehmen, fokussiert Andean Paradox auf die Gegenwart und den zunehmenden Willen in der Gesellschaft, sich Handlungsmacht zurückzuerobern. Das Programm Tierra vital ist eine Reise durch Landschaften, welche die kulturellen Praktiken, Identitäten und Vorstellungen der Bevölkerung prägen. Es geht um den Zusammenhang zwischen Ort und Zughörigkeitsgefühl. Family Comes First widmet sich – wie der Titel besagt – der Bedeutung der Familie, den Konflikten und Bindungen zwischen Familienmitgliedern. Queere Erfahrungen und körperliche Selbstbestimmung erhalten im Programm Free Your Mind, Free Your Body ein Fenster. Die Programme Stories of the Uncanny und Blurred Lines spiegeln sich gewissermassen: In ersterem dient der Animationsfilm als Medium, um schwierige, seltsame und scheinbar disparate Themen zu beleuchten, die gleichzeitig anziehend und abstossend wirken. Letzteres ist vom magischen Realismus inspiriert, wo Spuren des Übernatürlichen im Alltäglichen auftauchen – ein atmosphärisches Programm, in dem sich Realität und Magie vermischen.
Die Anden sind eine facettenreiche Region, die von einer geheimnisvollen und mystischen Aura umgeben ist. Als kolumbianische Kuratorin, die mehrere Jahre in Europa gelebt hat, bin ich mir der vielfältigen Assoziationen bewusst, die mit dem Begriff «Lateinamerika» verbunden sind. Viele betrachten uns mit Sehnsucht und Verlangen, einige mit Angst. Während uns die einen mit ehrlicher Neugier begegnen, wollen andere unsere Länder ausbeuten. Wir gelten auch als unglaublich offene und warmherzige, glückliche und liebevolle Menschen, die allen mit offenen Armen begegnen. Unsere Staaten hingegen werden meist mit politischer und sozialer Instabilität assoziiert – ein Urteil, das dann mit der Schönheit der Bevölkerung und den majestätischen und vielseitigen Landschaften der Region kontrastiert wird. Trotzt der Stereotypen und der Bilder, die wir hervorrufen, sind wir zweifellos eine plurikulturelle und multiethnische Region, die sich ein Gebiet und eine koloniale Vergangenheit teilt, aber gleichzeitig unterschiedliche Länder mit ihren je eigenen, komplexen politischen und sozioökonomischen Realitäten umfasst.
Text: Mariana Bonilla Rojas Kuratiert von Mariana Bonilla Rojas, John Canciani, Laura Walde, Federico Windhausen
Stories of the Uncanny
In den letzten Jahren haben lateinamerikanische Animationsfilme immer wieder Aufmerksamkeit erregt, wobei Argentinien, Chile und Kolumbien die produktionsstärksten Länder der Anden sind. Besonders Chile stand in jüngster Zeit im Fokus: 2018 gewann «Bear Story» den Oscar für den besten Kurzanimationsfilm, und 2020 war «Bestia» für die Oscars nominiert. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass diese Sektion vor allem von Pixar-Filmen dominiert wird. War «Bear Story» ästhetisch dem amerikanischen Mainstream noch sehr nah, weicht «Bestia» stark davon ab. Schon «Bear Story» war ein politischer Film, aber «Bestia» spricht direkt über das Pinochet-Regime und versteckt seine Botschaft nicht hinter lieblichen Figuren. Es ist ein dezidiert politischer Animationsfilm für Erwachsene, der mit ästhetischen Konventionen bricht und eine bedrückende, unheimliche Atmosphäre schafft.
Die Geschichte der Andenstaaten ist geprägt von Gewalt, Zensur und Diskriminierung. Animationsfilme werden in diesen Ländern häufig zur Kritik an Politik und Gesellschaft eingesetzt. In der Öffentlichkeit glänzen die Mainstream-Produktionen, doch parallel dazu hat sich eine starke alternative Animationsfilmszene entwickelt. Oft mit kleineren Budgets, aber dafür mit grossem Engagement entstehen spannende experimentelle Werke. Einige Strömungen, die sich innerhalb der Animationswelt etabliert haben, sind mittlerweile breiter sichtbar an Festivals oder auch in der Kunstwelt. Ein Beispiel hierfür sind die Chilenen Cristobal Léon und Joaquin Cociña, die ihre Werke auf der Leinwand aber auch als Installationen zeigen. Ihre Animationsfilme waren an diversen Filmfestivals sowie beispielsweise an der Art Basel zu sehen.
In Stories of the Uncanny zeigen die Kurzfilmtage Animationsfilme, die ästhetisch durch ihre Düsterheit herausstechen, sich atmosphärisch gerne im Mystischen bewegen, dabei aber auch gesellschaftliche und politische Themen ansprechen. Entstanden ist ein Programm, das visuell starke Eindrücke hinterlässt, uns in andere Weltformen eintauchen lässt und uns gleichzeitig alltägliche Themen aus Geschichte, Politik und Gesellschaft näherbringt.
Die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur sind das bedeutendste Kurzfilmfestival der Schweiz. Jeden November verwandeln wir die Stadt Winterthur für sechs Tage in eine Kurzfilmmetropole.
An den Kurzfilmtagen gibt es für alle etwas zu entdecken: Wir zeigen sorgfältig zusammengestellte Kurzfilmprogramme zu aktuellen Geschehnissen oder zu Themen, die unseren Kurator:innen unter den Nägeln brennen. Die Wettbewerbsblöcke fühlen den Puls des aktuellen, weltweiten Filmschaffens und die Installationen, Performances und weiteren Specials machen audiovisuelle Formen in ihrer ganzen Vielfalt erlebbar. Ein Rahmenprogramm mit Konzerten, Lesungen und mehr erweitert das Festivalerlebnis.
Der Kurzfilm ist nicht einfach ein kürzerer Film. Er ist eine eigene Kunstform, die wir mit unserem Festival jährlich in den Fokus stellen.
Der Kurzfilm erscheint in allen Genres und kann unterschiedlich lang – oder eben kurz – sein. Einfachere Produktionswege machen es ihm möglich, den Zeitgeist und Strömungen rasch einzufangen und abzubilden. Der kurze Film kann unterhalten, überraschen, die Gesellschaft analysieren, eine politische Haltung einnehmen oder Einblick in uns fremde Welten geben.
Wir bündeln unsere Kurzfilme in thematischen Programmen oder nach bestimmten Sektionen, wie z.B. unsere Wettbewerbe, und stimmen die Filme und Reihenfolge aufeinander ab. Für den Kurzfilmgenuss gibt es somit nur eine Voraussetzung: die Neugierde, Neues zu entdecken und sich überraschen zu lassen.