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Kurdwin Ayub setzt sich in ihren Filmen mit Geschlechterrollen, Identität und Migration, patriarchischen Strukturen, Jugendkultur und der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit auseinander. Dabei bleibt sie stets authentisch und persönlich. Gleichzeitig verspielt und analytisch lässt sie sich und ihre Filme ungern festen Kategorien zuordnen. Eine Auswahl ihrer Kurzfilme zeigt ihre Entwicklung zu einer der interessantesten Stimmen des österreichischen Kinos.
Family Holiday Kurdwin Ayub / Österreich 2012 / 22'23" / DCP / Farbe / Deutsch / Doc
Das ist eigentlich nur ein Familienurlaub. Ich filme meine Familie, als wir im Irak meine Verwandten besuchen. Ich habe in 17 sehr kurzen Szenen versucht, die Familie und die Kultur einzufangen, am wichtigsten aber, wie wir mit der Langeweile dort klar gekommen sind.
Like Lucifer Kurdwin Ayub / Österreich 2019 / 4'31" / DCP / Farbe / ohne Dialog / Clip
Filmemacherin Kurdwin Ayub tanzt in Eigenregie zu den Klängen von Go! Go! Gorillo durch Wien und erschliesst Orte des öffentlichen Lebens in ihrem schwarzen Tschador. Sie trifft auf belustigte Männergruppen und apathische Passant:innen und lässt sich von nichts aus der Ruhe oder aus dem Takt bringen. Dancing on her own, sozusagen. Das Highlight zum Schluss bildet ein wunderbares Zitat von Andrzej Żuławski in einer U2-Station!
Ti(c)k-To(c)k geht die Bewegung, das Handy – auch jenes, mit dem Kamerafrau Caroline Bobek dreht – schert sich wenig um angestaubte Gesetzmässigkeiten. Dies betrifft auch die Sprache der Menschen, die in Kurdwin Ayubs «LOLOLOL» miteinander interagieren und zu der die Eltern – die Generation «OK Boomer» – nur schwer Zugang finden, weil sie sich zu sehr um Grammatik und zu wenig um die Lebenszusammenhänge ihrer Kinder scheren.
In «pretty-pretty» trifft Kurdwin Ayubs reflexive Selbstinszenierung auf Wiener Aktionismus, Körperhorror verbindet sich mit Schönheit und lässt den von Ayub schon vielfach inszenierten Schmerz erstmals physisch werden. Und während sie mit feiner Nadel die Nerven des Publikums zum Zucken bringt, breitet sich in ihrem Gesicht ein blutig-strahlendes Lächeln aus.
Armageddon Kurdwin Ayub / Österreich 2018 / 4'27" / DCP / Farbe / Deutsch / Ani
Anton und Franz leben zusammen, seitdem sie 1938 gebissen und in Vampire verwandelt wurden. Nun haben wir das Jahr 2138. Sie erzählen von den Schwierigkeiten, als Vampire zu leben, und von der Zeit, die sich immer zu wiederholen scheint.
Eigentlich ist das Video wie für YouTube gemacht: In einem Wohnzimmer sitzt Kurdwin Ayub vor einem Couchtisch, auf dem ein Laptop steht. Intimität vermittelt dabei nicht nur das teils unaufgeräumte, offensichtlich private Setting – auch die Künstlerin selbst wirkt in einem einfachen Leibchen nicht so, als hätte sie sich extra für ihren «Auftritt» zurechtgemacht.
Ein Mercedes steht vor einem Haus, offenbar wartend, doch der Motor läuft nicht. Da spaziert ein Mädchen vorbei, nähert sich dem Hauseingang. Der Fahrer streckt sich aus dem Fenster, er möchte mit hinauf. «Geh weg, Papa, du bist peinlich», sagt das Mädchen. «Ich liebe dich», antwortet der Vater. Doch Dana lässt sich nicht beirren. Sie ist auf dem Weg zur Einweihungsparty ihrer Mutter, die frisch nach der Trennung in eine eigene Wohnung gezogen ist.
Ein langer Vorhang bewegt sich im Wind, eine Tür, ein schlichtes Bett, mittendrin die zierliche Performerin in einem viel zu grossen orientalischen Brautkleid. Allein gelassen in einem Raum, der an ein Hotelzimmer erinnert, singt und tanzt sie sich aberwitzig die Seele aus dem Leib. In Wahrheit befindet sie sich im Haus von Verwandten im Irak, in dem die Künstlerin drei Wochen festgesessen ist. Unproportional wie das ausladende Brautkleid, so ist auch die voluminöse, tiefe Stimme Lorraine Ellisons ein ironischer Kontrast zum zierlichen, mädchenhaften Körper von Kurdwin Ayub.
Kurdwin Ayub wurde 1990 im Irak geboren und ist in Wien aufgewachsen. Sie setzt sich in ihren Arbeiten mit Geschlechterrollen, Identität, patriarchischen Strukturen, Jugendkultur und der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit auseinander. Schon früh fing sie an zu filmen, nachdem sie ihren Vater dazu brachte, ihr eine Videokamera zu kaufen. Von da an filmte sie unaufhörlich. 2008–2013 studierte sie Malerei und experimentellen Animationsfilm an der Universität für angewandte Kunst in Wien und parallel dazu performative Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Mit 20 Jahren startete sie ihre Festivalkarriere und schon zwei Jahre später folgte ein ihr gewidmetes Programm an der Viennale.
Ayubs Filmografie der letzten 12 Jahre ist eindrücklich und zeigt ihre Entwicklung zu einer der interessantesten Stimmen des österreichischen Kinos. Ihre starke filmische Handschrift, die schon in ihren frühen Werken erkennbar ist, hat sie bis zu ihrem neusten Film «Sonne» stetig weiterentwickelt. Nebst den zentralen Themen ihrer Filme spielt sie gerne mit den Erwartungen des Publikums, indem sie die Grenzen zwischen Authentizität, Inszenierung und DIY-Kultur verwischt.
Als Migrationskind lebt Ayub seit jeher zwischen zwei Welten: in der irakischen Kultur, die sie von zuhause und von ihren Familienurlauben im kurdischen Irak kennt, und in der österreichischen Welt, in der sie als «digital native» zwischen Emo, Anime und Indie-Musik aufgewachsen ist. Das Leben zwischen verschiedenen Kulturen, Strukturen, Dynamiken und Erwartungen ist für viele Migrationskinder die Norm. Sie muss sich da weder hineinfühlen noch recherchieren, denn sie weiss selbst, wie sich das anfühlt. Die Themen Migration und Integration werden in Filmen oft verklärt oder didaktisch verarbeitet. Ayub hingegen zeigt unaufgeregt auf, dass die Situation oft mehrschichtig ist, manchmal lustig, manchmal doof, anstrengend und doch bereichernd, aber niemals eindimensional.
Ayubs frühe performative Arbeiten sind von ihrer persönlichen Sicht als junge Frau geprägt. Sie hinterfragt Gender-Klischees. Wie stellen sich Frauen dar? Was wird von ihnen erwartet? Was bedeutet das im Zeitalter der sozialen Medien? Sie spielt mit der Ästhetik von selbstaufgenommenen YouTube-Videos. Wer nicht weiss, dass die Darstellerin Ayub selbst ist, könnte annehmen, sie habe die Videos im Internet gefunden. Sie zeigt dieses Selbstdarstellungsphänomen unter jungen Erwachsenen, persönlich geht es ihr aber darum, wer sie nicht sein will.
Junge Menschen nehmen auch eine zentrale Rolle in Ayubs Filmen ein. Man hat dabei das Gefühl, dass sie sich selbst darstellen und einbringen dürfen. Die Figuren, meist Laien, wirken manchmal naiv, unausgewogen und roh, bleiben dadurch aber immer authentisch. So vermeidet die Regisseurin den rein voyeuristischen Blick, durchbricht die nostalgische Verblendung eines Aussenblicks und ist auf Augenhöhe mit den Protagonist:innen. Von sich selbst sagt sie: «Zu wissen, wie man mit Laienschauspieler:innen gut arbeiten kann, zähle ich zu meinen Talenten.»
Kurdwin Ayub kokettiert und analysiert in ihren Filmen, ob es sich dabei um Perfomance, Musikclip, Trailer, Dokumentar- oder Spielfilm handelt. Sie lässt sich und ihre Filme ungern festen Kategorien zuschreiben, was sie zu einer spannenden und eigenwilligen Regisseurin macht. Wir freuen uns auf ihre Filme und auf angeregte Gespräche.
Kuratiert von John Canciani
Kurdwin Ayub – Kurzfilme
Kurdwin Ayub setzt sich in ihren Filmen mit Geschlechterrollen, Identität und Migration, patriarchischen Strukturen, Jugendkultur und der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit auseinander. Dabei bleibt sie stets authentisch und persönlich. Gleichzeitig verspielt und analytisch lässt sie sich und ihre Filme ungern festen Kategorien zuordnen. Eine Auswahl ihrer Kurzfilme zeigt ihre Entwicklung zu einer der interessantesten Stimmen des österreichischen Kinos.
Der Kurzfilm ist nicht einfach ein kürzerer Film. Er ist eine eigene Kunstform, die wir mit unserem Festival jährlich in den Fokus stellen.
Der Kurzfilm erscheint in allen Genres und kann unterschiedlich lang – oder eben kurz – sein. Einfachere Produktionswege machen es ihm möglich, den Zeitgeist und Strömungen rasch einzufangen und abzubilden. Der kurze Film kann unterhalten, überraschen, die Gesellschaft analysieren, eine politische Haltung einnehmen oder Einblick in uns fremde Welten geben.
Wir bündeln unsere Kurzfilme in thematischen Programmen oder nach bestimmten Sektionen, wie z.B. unsere Wettbewerbe, und stimmen die Filme und Reihenfolge aufeinander ab. Für den Kurzfilmgenuss gibt es somit nur eine Voraussetzung: die Neugierde, Neues zu entdecken und sich überraschen zu lassen.
Das Festival
Die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur sind das bedeutendste Kurzfilmfestival der Schweiz. Jeden November verwandeln wir die Stadt Winterthur für sechs Tage in eine Kurzfilmmetropole.
An den Kurzfilmtagen gibt es für alle etwas zu entdecken: Wir zeigen sorgfältig zusammengestellte Kurzfilmprogramme zu aktuellen Geschehnissen oder zu Themen, die unseren Kurator:innen unter den Nägeln brennen. Die Wettbewerbsblöcke fühlen den Puls des aktuellen, weltweiten Filmschaffens und die Installationen, Performances und weiteren Specials machen audiovisuelle Formen in ihrer ganzen Vielfalt erlebbar. Ein Rahmenprogramm mit Konzerten, Lesungen und mehr erweitert das Festivalerlebnis.