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Wie erlangen wir Unabhängigkeit? Wie finden wir das Gleichgewicht zwischen Solidarität und Ehrgeiz? Was bedeutet der männliche Blick heute? Wie definieren wir die eigene Identität? Und wie gehen wir mit Macht um, wenn wir sie haben? Vier Geschichten folgen starken weiblichen Figuren, die sich in der schnelllebigen Gesellschaft Nigerias vom Patriarchat befreien. Auf ganz unterschiedliche Weise erzählen die vier Kurzfilme von Emanzipation, aber auch von Freundschaft, Weiblichkeit und schwesterlicher Solidarität.
In einem kleinen Stammesdorf halten gewisse Männer Ausschau nach jungen Mädchen, die sie in die grosse Stadt bringen wollen. Besidas älterer Bruder schaltet sich ein, um zu verhindern, dass ihr das passiert.
Die eigensinnige feministische Journalistin Chuma Eze ist im Rennen um einen prestigeträchtigen Frauenpreis. Als sie beauftragt wird, Iziegbe "Izi" zu interviewen, die für denselben Preis kandidiert, nimmt Chuma den Auftrag nur widerwillig an. Bald entdeckt sie, dass hinter Izi mehr steckt, als auf den ersten Blick erkennbar ist.
Dieser Kurzfilm basiert auf «Hello, Moto», einer Kurzgeschichte der preisgekrönten Autorin Nnedi Okorafor. Es geht um drei Wissenschaftler-Hexen, die mittels einer Kombination aus Juju und Technologie magische Perücken herstellen, die ihnen ungeahnte übernatürliche Kräfte verleihen. Wie immer korrumpiert Macht, und die Anführerin Rain findet sich in einem Konflikt mit ihren Freundinnen, die sie aufhalten muss, bevor sie die ganze Nation zerstören.
Während das Geburtsjahr des nigerianischen Kinos umstritten ist, gibt es keine grosse Debatte über das Jahr, in dem es den ersten grossen kommerziellen Erfolg erzielte. Das Jahr war 1992 und der Film hiess «Living in Bondage». Die Themen des Films – Liebe, Geiz, böswillige Spiritualität, christliche Erlösung – waren Teil des nigerianischen Vokabulars und dominierten in der Folge die Produktionen des Jahrzehnts. Und sie bleiben bis heute präsent: Noch immer berichten die Medien über junge Menschen, die sich im Streben nach Reichtum im Diabolischen versuchen; spirituelle Dinge flössen nach wie vor Furcht und Ehrfurcht ein.
Doch wenn Furcht und Ehrfurcht lange diktierten, wie das nigerianische Kino Geschichten über Spiritualität erzählte, so zeichnet sich der heutige Ansatz eher durch Pietätlosigkeit aus – obwohl diese keinesfalls einseitig ist. Jüngere Filmschaffende mögen die mystischen Überzeugungen ihrer filmischen Vorgänger:innen und ihrer eigenen Eltern infrage stellen, aber sie sind nicht bereit, deren Allgegenwärtigkeit in der Kultur zu ignorieren. Was auch immer sie von Spiritualität halten mögen, sie sind sich einig, dass sie zu ihrem Erbe gehört.
Michael Omonuas «Rehearsal» wirft einen frechen Blick auf dieses Erbe. Der Film zeigt eine Gruppe junger Leute, die Reaktionen auf einen falschen Priester üben, der vortäuscht, von Geistern besessen zu sein. Es ist nicht die Art von Geschichte, die Mainstream-Filmschaffende in den 1990er Jahren erzählt hätten. Auch die Methoden sind anders. So etwa das naturalistische Schauspiel, das eine Abkehr vom typischen Nollywood-Melodrama darstellt. Oder die indirekte Kritik an einer Religion, die in einem armen Land glühende Anhängerschaft findet, während ihre Anführer gewaltige Bauten errichtet haben, die man als kapitalistische Kathedralen bezeichnen könnte.
«Rehearsal» ist einer der Kurzfilme von Surreal 16, einem Trio, das mit seinen unkonventionellen Werken zum Gesicht des nigerianischen Non-Mainstream-Kinos geworden ist. In ihrem Dreiteiler «Juju Stories» widmet sich die Gruppe den Aberglauben aus ihrer Kindheit in den 1990er Jahren. In allen drei Geschichten müssen junge Leute die ungeahnten Folgen einer allzu grossen Nähe zum Mystischen ausbaden.
Weitere Filmschaffende mit Projekten jenseits des Mainstreams sind Femi Johnson und Ayo Lawson, das Duo hinter «Nightmare on Broadstreet». Der Film erzählt von einer Gruppe von Freunden, die in einem beliebten Freiluftlokal auf Lagos Island traumatisiert werden – bis zum Tod.
Während dieser Film seinen westlichen Einfluss schon im Titel trägt, sind andere diesbezüglich subtiler. Sonia Irabor und Lakin Ogunbanwo, die beide im Westen studiert haben, drehen Filme im Grenzbereich zwischen Kino und Kunstprojekten. Walé Oyéjidé wiederum nennt sowohl die nigerianische als auch die US-amerikanische Kultur als prägende Einflüsse.
Für diese Filmschaffenden, von denen einige auch Langfilme gedreht haben, bieten Kurzfilme die Möglichkeit, ausgefallene Ideen auszuprobieren – jenseits einer Mainstream-Struktur, wo sie möglicherweise nicht willkommen sind. Dies zeugt von einem anderen Ehrgeiz, als ihn die frühere Generation in den 1990ern an Tag legte. Zudem ist es ein Zeichen von Mut, denn es braucht ein gewisses Mass an Kühnheit – und vielleicht auch Ignoranz – um ausserhalb der etablierten Nollywood-Industrie zu arbeiten.
Dieser Mut hat auch seine Vorteile. «Egúngún (Masquerade)» von Olive Nwosu zum Beispiel erzählt eine quasi-queere Geschichte und dürfte deshalb in Nigeria keinen Verleih finden. Wer das im Voraus weiss, hat auch eine gewisse Freiheit beim Filmemachen. Wie für Nwosu, die nicht in Nigeria lebt, ist die Heimat für viele junge Filmtalente etwas, von dem es sich zu lösen gilt. Manche sehen Nollywood heutzutage als Genre und bestehen darauf, dass sie keine solchen Filme machen. Während sich das Kino der 1990er an ein lokales Publikum richtete, blicken die Cineasten von heute zumindest mit einem Auge Richtung Westen. Und während die Geschichten von früher oft in Dörfern spielten, beschäftigen sich viele junge Regietalente mit ihren Städten.
Ein letzter Unterschied betrifft die Nachwuchskräfte. Einst waren es informelle Lehren und Theater, die für den Nachwuchs im nigerianischen Kino sorgten; heute sind ausländische Filmschulen zu einer wichtigen Quelle geworden. Und wenn eine ausländische Ausbildung nicht möglich ist, schaut man sich halt westliche Filme an, um sich deren Lehren einzuverleiben.
Und doch hat die kommerzielle und kulturelle Dominanz des nigerianischen Kinos der 1990er Jahre seine ästhetischen Spuren hinterlassen. In Immaculata Abbas Dokumentarfilm «You Matter to Me» zeigt sich die Nollywood-Ästhetik in der Textur des Films und seinem Schauplatz in einem Dorf im Osten des Landes. Zudem geht es darin um die Familie, eines der Hauptthemen der Nollywood-Tradition.
Der Osten Nigerias ist auch Schauplatz von Dika Ofomas «A Quiet Monday». Es ist der einzige Kurzfilm in der Auswahl, der ein umstrittenes politisches Thema aufgreift, das immer noch Schlagzeilen macht, auch wenn der Ursprung des Problems in den 1960er Jahren liegt. Eine junge Schneiderin verspricht, an einem Montag zu liefern, wird aber auf dem Weg zu einem Kunden von zwei jungen Männern abgefangen – sie gehören einer bewaffneten Gruppe an, die sich für die Freilassung ihres inhaftierten Anführers einsetzt. Es kommt zu Gewalt.
Während die Hauptfiguren in «A Quiet Monday» fiktiv sind, ist die politische Atmosphäre des Films für die Bevölkerung Ostnigerias allzu real. Ofomas Geschichte zeigt, welche Tragödien möglich sind, wenn vermeintlich ferne politische Probleme in vertrauter Umgebung auftauchen.
Tales of Emancipation
Vier Geschichten folgen starken weiblichen Figuren, die sich in der schnelllebigen Gesellschaft Nigerias vom Patriarchat befreien.
«Besida» – sowohl Titel als auch Hauptfigur des ersten Films – bedeutet in etwa «wie das Schicksal entscheidet». Der Film spielt in einem winzigen Dorf mitten im Wald im südlichen Nigeria, wo das Schicksal der jungen Leute vom Stamm der Itsekiri bereits vorgezeichnet scheint. Doch Besida will etwas anderes. Der Kurzfilm ist vom ethnografischen Film und Film Noir beeinflusst, spielt aber auch mit den Codes klassischer Nollywood-Dramen. Die Geschichte einer familiären Krise thematisiert Verbrechen als Ausweg aus der Armut.
Der in Lagos angesiedelte «Ixora» befasst sich mit Body-Shaming und dem männlichen Blick aus zwei verschiedenen Blickwinkeln. Auf subtile Weise hinterfragen die beiden weiblichen Hauptfiguren Chuma Eze und Iziegbe «Izi» Klischees über Frauenkörper, was ein Leben als Frau im heutigen Nigeria bedeutet und die eigene Identität.
Salewa in «Egúngún» ist zwischen ihren zwei Identitäten hin- und hergerissen. Nach dem Tod ihrer Mutter kehrt sie aus London in ihre nigerianische Heimat zurück. Dort trifft sie ihre Kindheitsfreundin, die nun mit einem Mann verheiratet ist. Salewa ist ebenfalls verheiratet – mit einer Frau im Vereinigten Königreich. Das Wiedersehen zeigt den Graben auf zwischen dem Schicksal der zwei Frauen, die sehr unterschiedliche Lebensentscheidungen getroffen haben.
Die drei Heldinnen des Science-Fiction-Films «Hello, Rain» haben übernatürliche Kräfte und beherrschen die Welt. Doch «anstatt zu geben, haben wir genommen», sagt Rain. Der ursprüngliche Plan der Frauen, Nigeria positiv zu verändern, wurde durch Technologie und Gier zunichtegemacht. Was fangen wir mit unserer Macht an, wenn wir sie haben? Das offene Ende stellt es dem Publikum frei, die eigene Zukunft zu bestimmen.
Mit ganz unterschiedlichen visuellen und erzählerischen Ansätzen thematisieren die Filme Emanzipation, aber auch Freundschaft, Weiblichkeit und schwesterliche Solidarität.
Der Kurzfilm ist nicht einfach ein kürzerer Film. Er ist eine eigene Kunstform, die wir mit unserem Festival jährlich in den Fokus stellen.
Der Kurzfilm erscheint in allen Genres und kann unterschiedlich lang – oder eben kurz – sein. Einfachere Produktionswege machen es ihm möglich, den Zeitgeist und Strömungen rasch einzufangen und abzubilden. Der kurze Film kann unterhalten, überraschen, die Gesellschaft analysieren, eine politische Haltung einnehmen oder Einblick in uns fremde Welten geben.
Wir bündeln unsere Kurzfilme in thematischen Programmen oder nach bestimmten Sektionen, wie z.B. unsere Wettbewerbe, und stimmen die Filme und Reihenfolge aufeinander ab. Für den Kurzfilmgenuss gibt es somit nur eine Voraussetzung: die Neugierde, Neues zu entdecken und sich überraschen zu lassen.
Das Festival
Die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur sind das bedeutendste Kurzfilmfestival der Schweiz. Jeden November verwandeln wir die Stadt Winterthur für sechs Tage in eine Kurzfilmmetropole.
An den Kurzfilmtagen gibt es für alle etwas zu entdecken: Wir zeigen sorgfältig zusammengestellte Kurzfilmprogramme zu aktuellen Geschehnissen oder zu Themen, die unseren Kurator:innen unter den Nägeln brennen. Die Wettbewerbsblöcke fühlen den Puls des aktuellen, weltweiten Filmschaffens und die Installationen, Performances und weiteren Specials machen audiovisuelle Formen in ihrer ganzen Vielfalt erlebbar. Ein Rahmenprogramm mit Konzerten, Lesungen und mehr erweitert das Festivalerlebnis.