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Landwirtschaft und Bergbau gehören zu den Hauptwirtschaftssektoren in Lateinamerika, das eine der biologisch vielfältigsten Regionen dieser Erde ist. Lebensnotwendig – vital – sind die Arbeit und der Umgang mit dem Land für die Bevölkerung der Andenstaaten. Sie lebt von aber auch mit der Erde, überlebt dank ihr. Von der Mine im Hochland bis zur Pazifikküste: Das Programm Tierra vital gibt einen Einblick in die atemberaubende Schönheit und Mystik der Andenländer, deren Natur sich sowohl durch Kargheit als auch Opulenz auszeichnet und nicht selten akut von äusseren Einflüssen bedroht ist.
Summits and Ashes Fernando Criollo / Peru 2020 / 17'25" / DCP / Farbe & Schwarz-Weiss / Quechua/Spanisch / Exp/Doc
Wir steigen so hoch, wie es unsere Beine und Gedanken erlauben. Wo die Luft dünn wird, vermischt sich unser Atem mit der Musik und verliert sich in den Explosionen, Schreien und endlosen Bergen. Der Wind trägt die Last und singt in der Sprache der Auserwählten. Zwei Welten treffen aufeinander. Werden wir uns wiedersehen?
Guillermina (70) ist eine Hirtin vom Volk der Aymara, die mit Einsamkeit und der Zerstörung ihrer Umwelt durch den Bergbau kämpft. Nur der Puma, der sie verfolgt, leistet ihr Gesellschaft.
Tierra Mojada Juan Sebastián Mesa / Kolumbien 2017 / 17' / DCP / Farbe / Spanisch / Fic
Mitten im Dschungel stellt Oscar (13) zwei untiefe Gräber fertig. Sein Haus steht auf dem Gelände eines grossen Wasserkraftprojekts, und es ist der letzte Tag, bevor er ausziehen muss. Eine Kettensäge ist in der Ferne zu hören. Der erschöpfte Oscar betritt zum letzten Mal sein Haus. Seine alten Grosseltern warten geduldig in der Küche.
Earth's Children Diego Sarmiento / Peru 2014 / 14'51" / DCP / Farbe / Spanisch/Quechua / Doc
Frühmorgens zieht der junge Jorge mit seiner Machete los, um Bananen zu ernten. Zurück im Dorf treibt er sich nach dem Frühstück mit Freunden in der üppigen Wildnis im Amazonas-Quellgebiet herum. Die Kindheit könnte kaum unbeschwerter und friedlicher sein.
Cali, 2019. Ein Grossbrand auf dem Hügel von Cristo Rey löst im Osten der Stadt eine Reihe von seltsamen Ereignissen aus. Junge schwarze Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren verschwinden. Die Caleños sind weit davon entfernt, die Macht des Pazifiks zu begreifen, der in die Stadt gekommen ist, um sich das Seinige zurückzuholen.
Die Anden erstrecken sich von Argentinien, wo sie als natürliche Grenze zu Chile fungieren, nordwärts durch Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien, wo sie sich dreifach verzweigen, wobei einer der drei Zweige bis nach Venezuela reicht. Die acht kuratierten Programme unseres Grossen Fokus sind das Resultat einer umfassenden audiovisuellen Recherche über dieses riesige Gebiet. Los Estados Andinos präsentiert ein Panorama der politischen, sozialen und kulturellen Szene dieser sieben Länder, wobei die Eigenheiten und Traditionen jeder Nation ebenso beleuchtet werden wie die Gemeinsamkeiten und kollektive Identität.
Die lateinamerikanische Filmindustrie, und spezifisch jene der Andenregion, wuchs mit der wirtschaftlichen Kapazität und dem Investitionswillen der jeweiligen Länder. Das Filmschaffen stand zudem stets in direktem Zusammenhang mit sozialen und politischen Turbulenzen, sowohl in der Region selbst als auch unter dem Einfluss externer Ereignisse. Auf die Ankunft des Kinos um 1896 folgt seine langsame Verbreitung, doch erst in den 1940er und 50er Jahren beginnt die einheimische Produktion zu blühen, nachdem die Staaten Gesetze zur Filmförderung erlassen haben. Insbesondere Argentinien sticht diesbezüglich hervor. Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter dem Einfluss der kubanischen Revolution entsteht eine neue Kinokultur, die rasch politisiert wird. Filmschaffende lassen sich in dieser Zeit von unterschiedlichsten – vor allem ausländischen – Quellen inspirieren, was eine Phase der Experimente einläutet.
Die 1960er und 70er Jahre waren entscheidend: Angefacht von Volksbewegungen, die kulturelle, politische und wirtschaftliche Autonomie forderten, entstand in einem postkolonialen Kontext die neue lateinamerikanische Filmbewegung, die einen Bruch mit der etablierten Filmpraxis brachte. Die Bewegung wollte die Realitäten Lateinamerikas mit allen ihren Kontrasten aufzeigen und stellte neue, bis anhin ignorierte Themen in den Mittelpunkt, wie etwa das kollektive Gedächtnis der Ausgegrenzten. Es war eine hochkritische Bewegung, die sich gegen das Establishment und den Mainstream wandte und ein Kino anstrebte, das soziopolitische Veränderungen auslösen konnte. Es führte zunächst vor allem in Argentinien und Chile zu einer fruchtbaren Produktion, bevor es sich in der Region weiterverbreitete, vor allem nach Kolumbien, Ecuador und Venezuela. Gleichzeitig bildeten sich mehrere nationale Strömungen heraus, die ein autochthones Autorenkino anstrebten.
In den späten 1970er Jahren kam es mit dem Aufstieg von Diktaturen und schwindenden Finanzmitteln zu einem Rückgang der Filmproduktion in der Region. Viele Filmschaffende gingen ins Exil und arbeiteten im Ausland weiter. Die 1980er waren eine Zeit der Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung und prekärer Distributionskanäle. Seit den 1990ern erleben verschiedene Filmindustrien wieder ein beachtliches Wachstum und kreative Wellen, insbesondere in Argentinien, das zu Recht als führende Kraft in der Region gilt, aber auch in Chile und Kolumbien. Das Filmschaffen von Bolivien, Peru und Ecuador wiederum wird zwar oft vernachlässigt, doch entstehen auch in diesen Ländern relevante Werke, die das Leben indigener Gruppen in der heutigen Zeit beleuchten.
Wir sind uns der enormen Vielfalt der Region und der Eigenheit der einzelnen Länder bewusst. Wir wollen diese keinesfalls homogenisieren oder ihre Erfahrungen miteinander gleichsetzen. Stattdessen möchten wir mit unserer Auswahl den Multikulturalismus dieser Nationen und gleichzeitig ihre gemeinsamen Erfahrungen im Laufe der Geschichte aufzeigen. Entsprechend sind die Programme nicht nach Nationen, sondern thematisch strukturiert.
Drei Programme widmen sich den soziopolitischen Verhältnissen in den Andenländern. Während zwei davon, Working the Land und Critical Contrasts, eine historische Perspektive einnehmen, fokussiert Andean Paradox auf die Gegenwart und den zunehmenden Willen in der Gesellschaft, sich Handlungsmacht zurückzuerobern. Das Programm Tierra vital ist eine Reise durch Landschaften, welche die kulturellen Praktiken, Identitäten und Vorstellungen der Bevölkerung prägen. Es geht um den Zusammenhang zwischen Ort und Zughörigkeitsgefühl. Family Comes First widmet sich – wie der Titel besagt – der Bedeutung der Familie, den Konflikten und Bindungen zwischen Familienmitgliedern. Queere Erfahrungen und körperliche Selbstbestimmung erhalten im Programm Free Your Mind, Free Your Body ein Fenster. Die Programme Stories of the Uncanny und Blurred Lines spiegeln sich gewissermassen: In ersterem dient der Animationsfilm als Medium, um schwierige, seltsame und scheinbar disparate Themen zu beleuchten, die gleichzeitig anziehend und abstossend wirken. Letzteres ist vom magischen Realismus inspiriert, wo Spuren des Übernatürlichen im Alltäglichen auftauchen – ein atmosphärisches Programm, in dem sich Realität und Magie vermischen.
Die Anden sind eine facettenreiche Region, die von einer geheimnisvollen und mystischen Aura umgeben ist. Als kolumbianische Kuratorin, die mehrere Jahre in Europa gelebt hat, bin ich mir der vielfältigen Assoziationen bewusst, die mit dem Begriff «Lateinamerika» verbunden sind. Viele betrachten uns mit Sehnsucht und Verlangen, einige mit Angst. Während uns die einen mit ehrlicher Neugier begegnen, wollen andere unsere Länder ausbeuten. Wir gelten auch als unglaublich offene und warmherzige, glückliche und liebevolle Menschen, die allen mit offenen Armen begegnen. Unsere Staaten hingegen werden meist mit politischer und sozialer Instabilität assoziiert – ein Urteil, das dann mit der Schönheit der Bevölkerung und den majestätischen und vielseitigen Landschaften der Region kontrastiert wird. Trotzt der Stereotypen und der Bilder, die wir hervorrufen, sind wir zweifellos eine plurikulturelle und multiethnische Region, die sich ein Gebiet und eine koloniale Vergangenheit teilt, aber gleichzeitig unterschiedliche Länder mit ihren je eigenen, komplexen politischen und sozioökonomischen Realitäten umfasst.
Text: Mariana Bonilla Rojas Kuratiert von Mariana Bonilla Rojas, John Canciani, Laura Walde, Federico Windhausen
Tierra vital
Schneebedeckte Bergkuppen, endlose Pazifikstrände und Wald, soweit das Auge reicht. Die Andenländer bieten Tourist:innen aus aller Welt ein spektakuläres Naturpanorama. Fauna und Flora dieser Länder gehören zu den vielfältigsten der Erde. Das hat auch einen Einfluss auf das Leben und Überleben der Menschen. Zu den wichtigsten Wirtschaftssektoren von Chile, Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien und Venezuela gehören heute noch die Landwirtschaft und der Bergbau. Das sind zehrende, aufwändige und teils auch gefährliche Berufe. Gleichzeitig ist die Symbiose der Menschen mit ihrer Umwelt – das Geben und Nehmen, der Zyklus von Leben, Tod und Wiedergeburt – in diesen Regionen der Erde besonders ausgeprägt.
Der Programmtitel Tierra vital ist eine Referenz auf das Überleben der Menschen dank und mit der Natur, wobei Mensch und Natur unmittelbar bedroht sind durch äussere Einflüsse. «Tomorrow/Before» zeigt den Weg einer älteren Frau, die sich nach dem Tod ihres Mannes gezwungen sieht, ihre Heimat in den atemberaubend schönen Bergen Chiles hinter sich zu lassen. Der kolumbianische Film «Tierra Mojada» beklagt in fantastischen Bildern die Zerstörung der Natur, und damit die Lebensgrundlage vieler mehrheitlich indigener Menschen. Eine andere Perspektive bietet «Earth’s Children» aus Peru: «I’m going to my field, where the fruits of the lands are … Let’s go harvest» – dies singen die Kinder, die frühmorgens Bananen ernten und arbeiten müssen, die sich aber auch den Freiheiten und Freuden eines simplen Landlebens hingeben können.
Tierra vital bedeutet aber auch lebendige Erde: Natur und Umwelt als beinahe figürliche Präsenz im Leben ihrer Bewohner:innen, als Familienmitglied und Ernährerin. Gerahmt wird das Programm durch die Filme «Summits and Ashes» und «Pacifico Oscuro», die beide mystische, ja magische Dimensionen der Umwelt in den Kulturen der Andenländer zeigen, ohne dabei etwas erklären zu wollen, das nicht naturwissenschaftlich nachvollziehbar ist. Nicht zuletzt ist Tierra vital auch eine Reise: Von den hohen Gebirgsspitzen der Anden über die üppigen Wälder bis hin zur Pazifikküste.
Kuratiert von Mariana Bonilla Rojas und Laura Walde
Der Kurzfilm ist nicht einfach ein kürzerer Film. Er ist eine eigene Kunstform, die wir mit unserem Festival jährlich in den Fokus stellen.
Der Kurzfilm erscheint in allen Genres und kann unterschiedlich lang – oder eben kurz – sein. Einfachere Produktionswege machen es ihm möglich, den Zeitgeist und Strömungen rasch einzufangen und abzubilden. Der kurze Film kann unterhalten, überraschen, die Gesellschaft analysieren, eine politische Haltung einnehmen oder Einblick in uns fremde Welten geben.
Wir bündeln unsere Kurzfilme in thematischen Programmen oder nach bestimmten Sektionen, wie z.B. unsere Wettbewerbe, und stimmen die Filme und Reihenfolge aufeinander ab. Für den Kurzfilmgenuss gibt es somit nur eine Voraussetzung: die Neugierde, Neues zu entdecken und sich überraschen zu lassen.
Das Festival
Die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur sind das bedeutendste Kurzfilmfestival der Schweiz. Jeden November verwandeln wir die Stadt Winterthur für sechs Tage in eine Kurzfilmmetropole.
An den Kurzfilmtagen gibt es für alle etwas zu entdecken: Wir zeigen sorgfältig zusammengestellte Kurzfilmprogramme zu aktuellen Geschehnissen oder zu Themen, die unseren Kurator:innen unter den Nägeln brennen. Die Wettbewerbsblöcke fühlen den Puls des aktuellen, weltweiten Filmschaffens und die Installationen, Performances und weiteren Specials machen audiovisuelle Formen in ihrer ganzen Vielfalt erlebbar. Ein Rahmenprogramm mit Konzerten, Lesungen und mehr erweitert das Festivalerlebnis.